MELBECK. Der Fußball-Landesligist SV Ahlerstedt/Ottendorf hat den Bezirkspokal gewonnen. Harsefeld scheiterte im Halbfinale. Das Pokalfinale wird Coroanbedingt in die Geschichte eingehen. Der Sieger wurde im Elfmeterschießen ermittelt. Eine groteske Situation.
A/O-Chef Thorsten Meyer steigt über die Kette am Rand des Platzes und geht auf den Rasen. Die kleine Abordnung von Spielern und Trainerstab erwartet den Vorsitzenden bereits. Meyer öffnet seinen Rucksack. „Zehn Bier und sechs Kiezmischungen“, verkündet Meyer. Zum Anstoßen auf den Pokalsieg. Die Feier ein paar Minuten nach dem letzten Schuss von Martin Sattler fällt eher verhalten aus. Schon der Jubel direkt nach dem finalen Elfmeter war gedämpft. Die Spieler liefen zwar freudestrahlend auf Sattler zu, klatschten ab, aber nicht mit solch einer Euphorie und Vehemenz, wie es ein Pokaltriumph unter normalen Umständen verdient hätte. An diesem Finaltag war alles anders.
Es ist kurz vor ein Uhr am frühen Nachmittag. Melbeck bei Lüneburg. Die Sportanlage des SV Ilmenau. Vor dem Sportheim von Roland „Willy“ Willberg sitzen Funktionäre des Niedersächsischen Fußballverbandes (NFV) und trinken Kaffee und Bier. Spielausschuss-Chef Jürgen Stebani erzählt ein paar Witze über Donald Trump und den HSV. Die Stimmung ist gelöst. Der Verband hat im Vorfeld gesagt, den Pokalsieger vom Punkt auszuschießen, sei die sportlich fairere Variante anstelle des Losentscheids. Die beteiligten Vereine nickten das ab. Andere Bezirke haben lieber Streichhölzer gezogen.
TuS-Torwart Dushan Pavlov macht sich akribisch warm.
Sieger bei den Frauen steht nach 20 Minuten fest
Auf dem Platz duellieren sich zunächst die Frauen. Die SG Bröckel/Langlingen schießt die SG Anderlingen/Byhusen bereits nach sieben Minuten wieder nach Hause. Im Finale unterliegt Bröckel dem TuS Westerholz. Der Sieger bei den Frauen steht nach 20 Minuten fest.
Zuschauer und Fans sind an diesem Finaltag nicht erlaubt. Ein paar Schaulustige stehen auf dem Gehweg hinter der Sportanlage und verfolgen das seltsame Geschehen durch einen grobmaschigen Drahtzaun. Vereinswirt Willy hätte an einem normalen Finaltag mit 300 oder 400 Zuschauern gut 3000 Euro Umsatz gemacht. Diesmal bleibt die Küche kalt. Nur Zapfhahn und Kaffeemaschine sind im Einsatz. Zwei Corona-Beauftrage sollen die langsam eintrudelnden Mannschaften in Empfang nehmen. Sechs Spieler sind erlaubt, zwei Trainer oder Betreuer. Die Spieler steigen schon in Fußball-Kluft aus dem Auto. Die Umkleidekabinen sind geschlossen, die Duschen gesperrt. Aber ins Schwitzen wird an diesem Tag sowieso kein Fußballer kommen.
Eine Ära geht zu Ende
Die Spieler des TuS Harsefeld betreten die Anlage. 90 Kilometer haben sie mehr auf den Tachos. Insgesamt sind es am Nachmittag 180 für sage und schreibe sieben Minuten Fußball. Aber der Verband erstattet den Vereinen wenigstens die Fahrtkosten. Torwart Dushan Pavlov, Stefan Forthaus, Patrick Reis, Dennis Osuch, Sören Meyer und René Kracke scheiden im Halbfinale gegen den Bezirksligisten MTV Soltau aus.
„Es kribbelte schon ein bisschen. Schließlich konnten wir uns eine Woche lang mit dieser besonderen Situation beschäftigen“, sagt Kracke. So ganz nebenbei geht beim TuS Harsefeld an diesem Sonntag eine Ära zu Ende. Trainer Dennis Mandel verlässt den Verein nach zehn Jahren in Richtung VfL Güldenstern Stade. Dass dieses historische Elfmeterschießen sein letztes „Pflichtspiel“ für den TuS war, hat der 43-Jährige gar nicht richtig registriert. „Ein Sieg wäre schön gewesen. Aber nun ist es halt so“, sagt Mandel.
A/O-Keeper Jannis Trapp bereitet sich auf das Elfmeterschießen vor.
Harsefelder verstoßen gegen Corona-Regeln
Weil Elfmeterschießen Glücksache ist, gehen die Harsefelder Spieler locker mit dem Ausscheiden um. Ärger über den verpassten Pokalcoup ist in den Blicken der Spieler nicht zu erkennen, als sie am Spielfeldrand verfolgen, wie sich die SV Ahlerstedt/Ottendorf gegen den MTV Treubund Lüneburg aus elf Metern ins Finale schießt. Und so ganz nebenbei verstoßen die Harsefelder auch noch gegen die Corona-Regeln. Denn eigentlich hätten sie die Sportanlage „unverzüglich durch einen möglichst separaten Ausgang verlassen“ müssen.
Der Belag, der an den Torpfosten hochkriecht, sieht aus wie Patina. Kein Wunder, das letzte Mal, dass ein Fußball in Richtung des vergilbten Gestänges geflogen ist, datiert auf den 8. März. Der Rasen auf dem Platz ist akkurat geschnitten. Selbst im Torraum ist das Gras wieder nachgewachsen. Das Grün hat sich während der Coronabedingten Zwangspause gut erholt. „Es ist ein eigenartiges Gefühl, dass es mal wieder um irgendwas geht“, sagt A/O-Trainer Malte Bösch, bevor die Schiedsrichter Nikolas Wilckens und Bastian Mertel die Finalisten auf den Platz bitten.
„Es ging schon um was“
Der eine Klasse tiefer spielende MTV Soltau legt vor. Ahlerstedt/Ottendorf zieht nach. „Das sind die besten fünf Schützen, die wir haben“, sagt Malte Bösch. Timo von Holt gleicht routiniert zum 1:1 aus. Martin Sattler trifft. Jannik Peters, Marcel Brunsch auch. Süleyman Yaman rutscht weg, versenkt den Ball aber trotzdem zum 5:5. „Von 30 Elfmetern habe ich im Training nur 17 getroffen. Ich habe nicht so gut geschlafen“, sagt Yaman. Als sechster Schütze ist Torwart Jannis Trapp an der Reihe. 6:6. Es geht von vorne los. Von Holt versenkt. Trapp hält den achten Schuss der Soltauer. Sattler, der den Verein in Richtung des Regionalligisten SV Drochtersen/Assel verlassen wird, macht mit dem 8:7 den Deckel drauf.
Um 14.29 Uhr, nicht einmal eine halbe Stunde nach dem ersten Schuss, steht der Sieger des Bezirkspokals fest. „Es ging schon um was“, sagt Marcel Brunsch. Manche hätten ihn gefragt, warum A/O da überhaupt hinfahre und knapp 90 Kilometer im Ferienverkehr über die A 1 und A 39 juckelt. Aber die Aussicht, in der nächsten Saison als Qualifikant im Niedersachsenpokal einen attraktiven Gegner vor vielen Zuschauern im eigenen Stadion am Auetal zu empfangen, klingt schon vielversprechend.
A/O-Trainer Malte Bösch klatscht mit Martin Sattler (links) ab. Sattler verwandelte im Finale den entscheidenden Elfmeter gegen Soltau.
Trikots bleiben sauber
Eine Handvoll Journalisten schaut sich dieses Elfmeterschießen an und fokussiert die Protagonisten, die lieber 90 Minuten lang hart in die Zweikämpfe gegangen wären. Aber dieses Mal bleiben selbst die Trikots sauber. Das obligatorische Siegerfoto entsteht im Fünfmeterraum des Tores. Auf Abstand hocken und stehen die Ahlerstedter und lächeln in die Kameras. Ohne Pokal. Den bekommen sie entweder beim Staffeltag oder an einem Spieltag, nachdem die Saison 2020/21 im Spätsommer oder Frühherbst hoffentlich wieder losgegangen ist.
Dieses abgespeckte Mini-Turnier der besten Vier macht A/O-Trainer Malte Bösch Hoffnung auf den baldigen Start im Amateurfußball. Die Ahlerstedter haben nach Monaten der Zwangspause am Sonntag mal wieder das erlebt, was sie so vermisst haben. „Das Treffen am Edeka, losfahren zum Spiel – das war ein klitzekleiner Schritt zurück in die Normalität“, sagt Malte Bösch.
Quelle: Stader Tageblatt