Über die Anfangsphase: Deutschland hat gut angefangen. Das sieht auch Bösch so: Die Mannschaft habe den Ball gut zirkulieren lassen und sich ein optisches Übergewicht erspielt, „aber wenn es Richtung Sechzehner ging, war es ungenau“. Trotzdem kam die deutsche Mannschaft zu einer guten Chance über Kai Havertz, Timo Werner traf den Torhüter. Bösch: „Das sind diese Situationen, die man nutzen muss.“
Über die Offensive: Bösch hätte Chelsea-Profi Werner auch aufgestellt, denn da sei dieser „England-Bezug“, und außerdem habe Serge Gnabry in der Vorrunde nicht gut performt. Und doch blieb Deutschland erfolglos. Kai Havertz scheiterte mit einem Volley-Kracher am englischen Keeper, Thomas Müller vergab die größte deutsche Chance. „Das war bezeichnend und passt zu Deutschlands Auftritt bei diesem Turnier“, sagt Bösch. Auch die Freistöße aus guten Positionen hätte das DFB-Team besser nutzen müssen.
Über das Flügelspiel: Bösch war kein Freund der taktischen Formation. „Ich finde es zu wenig, mit Robin Gosens und Joshua Kimmich nur zwei Außenspieler aufzustellen“, sagt Bösch. Er hätte die Flügel zusätzlich mit Serge Gnabry und Leroy Sané besetzt. Deutschland hätte so häufiger die Grundlinie erreichen können, um den Ball dann scharf in die Mitte zu spielen, oder auch das Potenzial gehabt, sich im Eins-gegen-eins durchzusetzen. In dieser Hinsicht nämlich hatten die Deutschen gegen England kaum Erfolg – dabei wäre genau das wichtig gewesen: „Wenn man im Eins-gegen-eins im letzten Drittel des Spielfelds gut ist, wird man immer zu Torchancen kommen“, weiß der Landesliga-Trainer. Auch beim Umschalten habe das DFB-Team nicht den Weg zum Tor gesucht, sondern eher den sicheren Pass. „Da ist viel Tempo verloren gegangen“, sagt Bösch.
Über die Gegentore: Raheem Sterling hätte vor dem 1:0 nicht ins Tempo gehen dürfen, sagt Bösch, „man muss ihn vorher stoppen“. Außerdem habe die deutsche Abwehr die Zuordnung total verloren. „Ich kenne es so, dass im Sechzehner Mann gegen Mann verteidigt“, sagt Bösch. Bei beiden Gegentoren aber konnten die Engländer ohne Druck agieren. „Das ist eine gewisse Überheblichkeit, den Mann nicht richtig zu decken. Andere Teams schmeißen sich da mehr rein“, sagt Bösch. Deutschland habe auf Sparflamme verteidigt.
Über Löws Coaching: „Ich glaube, dass er nach dieser langen Zeit nicht mehr diese Energie hat“, sagt Bösch. Es sei schwer zu verstehen, warum zum Beispiel Jamal Musiala gegen England so spät eingewechselt oder Stürmer Kevin Volland gegen Frankreich als Linksverteidiger eingesetzt worden sei. „Es gab einige komische Entscheidungen, aber Löw wird seine Gründe dafür gehabt haben“, sagt Bösch. Das sei bei ihm genauso, „da versteht auch nicht jeder, warum ich als Trainer diese oder jene Entscheidung treffe“. Fest steht für Bösch: Die Spielerwechsel gegen England haben keine Wirkung gezeigt.
Über Englands Chancen: „Die Engländer haben kein großes Feuerwerk abgebrannt, aber wenn sie das Viertelfinale gegen die Ukraine überstehen, ist alles möglich“, so Bösch. Wobei dieses Turnier bisher gezeigt habe, dass es die vermeintlichen Favoriten schwer haben. Dazu passt: „Ich habe jedes Achtelfinale bei unserer mannschaftsinternen Tipprunde falsch getippt“, sagt Bösch. „Die sogenannten kleinen Mannschaft gibt es nicht.“ Belgien und Italien sind seine Titelfavoriten.
Über Deutschlands Zukunft: Bösch fehlt der klassische Mittelstürmer, der Bälle behaupten kann, mit dem Kopf zur Stelle ist und der Offensive „mehr Power“ verleiht (siehe Kane, Lukaku, Immobile). „Ich hoffe, dass sich das Anforderungsprofil verändert“, sagt er, und setzt auf Löw-Nachfolger Hansi Flick. „Ich denke, dass durch Flick frischer Wind reinkommt. Beim FC Bayern hat er auch verstanden, viele gute Spieler unter einen Hut zu kriegen.“ Bösch ist erwartungsfroh, gerade nach letzten beiden enttäuschenden Turnieren.
Zur Person
Malte Bösch (30) trainiert seit der Saison 2017/18 den Fußball-Landesligisten SV Ahlerstedt/Ottendorf. Erste Erfahrung hatte er als Jugendtrainer bei den VSV Hedendorf/Neukloster gesammelt. Später trainierte Bösch, der in Revenahe aufgewachsen ist, die erste Mannschaft des VfL Stade in der Landesliga, zuerst als Co-Trainer, später als Cheftrainer. Mit 22 Jahren erklärte er seinen Rücktritt und wechselte zum JFV A/O/Heeslingen. Nach der Rückkehr in die Landesliga übernahm er die erste Mannschaft von A/O. Inzwischen hat Bösch um zwei Jahre verlängert. Selber hat er einige Kreis- und Bezirksligaspiele für die VSV und den VfL Horneburg bestritten. Bösch unterrichtet Sport, Religion und GSW (Geschichte, Politik, Erdkunde) an der Schule am Auetal in Ahlerstedt. Mit seiner Ehefrau Constanze und ihrem Sohn Valentin wohnt er in Nindorf.
Quelle: Stader Tageblatt